Erfüllte Kindheit: Auf zwei Dinge kommt es an - Gespräch mit Stefanie Stahl

Foto: Susanne Wysocki 

Jana hat Stefanie Stahl gefragt, was es braucht damit Kinder zu reifen und gesunden Persönlichkeiten wachsen. Zwei Dinge sind wirklich entscheidend und mit einigen anderen müssen wir uns nicht verrückt machen.

Steffi, woran erkennst du eine gute Eltern-Kind-Beziehung?
Gute Eltern-Kind-Beziehungen haben eine gute Mischung aus Nähe und Loslassen. Die Eltern haben auf der einen Seite eine liebevolle Zuwendung zu den Kindern. Sie können aber auf der anderen Seite auch loslassen und ihr eigenes Ding machen. Dazu gehört Vertrauen in die Autonomie der Kinder, ohne ständige Kontrolle zu brauchen. Die Ausgestaltung sollte natürlich den Entwicklungsphasen gerecht sein.

Von dieser Mischung aus Bindung und Autonomie schreibst du auch in deinen Büchern. Du sagst ja sogar, dass es Grundbedürfnisse sind, die wir alle haben?
Absolut. Das sind sie – und das ist jetzt nicht meine private Steffi-Stahl-Meinung. Wir haben psychisch nicht sehr viele Grundbedürfnisse. Ganz zentral ist aber das Bedürfnis nach „Bindung und Zugehörigkeit“ auf der einen Seite und das nach „Autonomie und Selbstständigkeit“ auf der anderen Seite.

Wobei die Bindung die erste Entwicklungsstufe ist. Das heißt, wenn der Verbindungsaufbau zwischen dem Kind und seiner potenziellen Bindungsperson schon nicht gelingt – sei es zu Mutter, Vater oder wem auch immer – dann kann es auch keine gesunde, autonome Entwicklung geben. Es ist wie bei einem Haus: Wenn das Fundament schon wackelt, kann man darauf keine sicheren Wände stellen.

„Eltern müssen nicht perfekt sein. Es reicht, wenn sie hinreichend gut sind.“

Stefanie Stahl

Gibt es bestimmte Voraussetzungen, die es Eltern leichter machen, einem Kind diese beiden Komponenten in einer guten Balance mitzugeben? Ich merke zum Beispiel, wenn ich gestresst bin, dann fällt es mir unglaublich schwer, ausgeglichen mit meinem Kind zu sein. Gibt es noch andere solche Faktoren, die uns das Zusammensein leichter oder schwerer machen?
Klar, das ist ja logisch, wenn wir im Stress sind – und das sind junge Eltern ja oft – dann sind wir halt einfach selbst nicht so gut in der Balance. Aber Kinder sind auch großzügig im Verzeihen, und solange man nicht dauergestresst ist, ist das auch okay. Wir reden in der Psychologie von „hinreichend guten Eltern“. Eltern müssen nicht perfekt sein. Es reicht, wenn sie hinreichend gut sind.

Ein weiterer Faktor ist aber natürlich ganz, ganz wichtig: die eigene Prägung in Bezug auf Bindung. Ich möchte es mal an einem konkreten Beispiel erklären: Wenn ich Eltern hatte, von denen ich mich zu wenig verstanden und geliebt gefühlt habe, dann habe ich ein gewisses Defizit an Bindung mitbekommen. Ich habe mich nicht richtig angenommen und geliebt gefühlt. Irgendwann werde ich dann selbst Mutter und habe dieses Defizit immer noch in mir. Da gibt es nun mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen:

Entweder mache ich es wie meine Eltern, vielleicht ein bisschen besser, aber eigentlich bin ich immer noch weit hinter dem, was das Kind benötigen würde.

Oder es kann sein, dass ich in Anbetracht meiner eigenen Kindheit überkompensiere und zu sehr ins andere Gegenteil schwenke. Das heißt, dass ich das Kind zu viel an mich binde und mit meinen eigenen Bedürfnissen nach Nähe und Bindung erdrücke. Wo dieses „zu viel“ an Bindung da ist, ist gleichzeitig immer ein „zu wenig“ an Autonomie, denn die beiden sind ja in einer ganz feinen Balance miteinander. Sie gehören untrennbar zusammen wie die Kehrseiten von einer Medaille.

Es kann aber auch sein – und das ist, wofür ich eintrete – dass ich mich gut selbst reflektiere und es mir ganz gut gelingt, eine richtig gute Mutter zu sein. Eine, die gut in der Balance ist zwischen Bindung und Autonomie. Das setzt aber immer voraus, dass ich meine Kindheitserfahrungen selbst reflektiert habe und sie weder unkritisch übernehme noch überkompensiere.

Jana Heck im Gespräch mit Stefanie Stahl
Foto: Susanne Wysocki

Wenn ich jetzt als Mutter oder Vater merke: Es hakt irgendwie in der Beziehung zu meinem Kind, aber gleichzeitig fällt es mir schwer, bewusst darüber zu reflektieren. Wie kann ich mir Inseln schaffen oder Momente finden, in denen ich zu diesen Erkenntnissen durchdringen kann?
Es braucht immer ein bisschen Zeit und Rückzug. Du hast ganz treffend die Formulierung Inseln benutzt. Es braucht Momente, wo man mal ein bisschen Zeit hat zur Ruhe zu kommen, wo man sich mal hinsetzt und mal nachdenkt. Ich meinem Buch Nestwärme, die Flügel verleiht haben wir dazu immer wieder kleine Übungen eingeflochten.

Man kann aber auch beim Geschirrspülen darüber nachdenken – oder beim Autofahren. Es geht darum, sich diese Fragen zu stellen und die Gedanken schriftlich zu fixieren:

Wo sind meine Prägungen? Kann es sein, dass ich vielleicht in Bezug auf das Thema Bindung Probleme habe? Oder in Bezug auf das Thema Autonomie?

Glaubst du, dass es auch möglich ist, zu Erkenntnissen zu kommen, wenn man sich gemeinsam als Familie Oasen der Entspannung sucht. Ganz konkret: Man verbringt einen Tag zusammen im Wald. Kein Stress, nur Zeit als Familie. Gibt es da auch die Möglichkeit, sich über vergangene Konflikte klar zu werden?
Das geht immer dann, wenn du ein bisschen Zeit zum Nachdenken hast. Natürlich kannst du das im Wald beim Spazierengehen. Natürlich ist es auch großartig, wenn du dich mit deinem Partner darüber austauschen kannst: Wie war das bei mir? Wie war es bei dir? Wo könnten unsere Herausforderungen liegen als Eltern, wo liegen aber auch unsere Stärken? Was können wir gerade aufgrund unserer Vergangenheit besonders gut und wo können wir vielleicht noch ein bisschen üben und ein paar Sachen neu sortieren?

Das heißt, die Paarbeziehung spielt auch eine wichtige Rolle?
Natürlich, die Paarbeziehung spielt eine ganz wichtige Rolle. Die Beziehungen werden ja durch die Kinder meistens strapaziert. Manche gehen auch darüber auseinander, weil sie den Stress nicht gut bewältigen können. Je besser das Elternpaar miteinander klarkommt, desto angenehmer ist es natürlich auch für die Kinder – weil dann weniger Stress in der Familie herrscht und weil sie mit beiden Eltern aufwachsen können. Insofern ist die Paarbeziehung sehr entscheidend, übrigens auch die Vorbildfunktion.

„Bewegung ist ein wahnsinnig gutes Antidepressivum.“

Stefanie Stahl

Das heißt, das große Ganze muss harmonisch und authentisch sein? Weil Kinder spüren, wie die Beziehung zum Partner tatsächlich ist.
Na ja, was heißt authentisch? Man kann sich streiten und dabei total authentisch sein. Es geht mir eher darum, wie wichtig die Paarbeziehung ist. Es ist wichtig für ein Kind, dass die Eltern einigermaßen gut miteinander klarkommen und nicht ständig Streit im Haus ist. Streit belastet Kinder extrem.

Man hat sogar herausgefunden, dass Kinder aus hoch-zerstrittenen Familien psychisch später mehr Probleme haben als Kinder aus Scheidungsfamilien. Weil die Scheidung die Möglichkeit eines Happy End beinhaltet. Die Kinder erleben eine Krise, es gibt aber die Chance einer Besserung. Vielleicht spürt es: „Mama und Papa sind besser drauf seitdem sie getrennt sind. Ich kann ja beide immer sehen.“ Dann kann das Kind bei einer Scheidung auch lernen Probleme zu lösen. Bei Eltern dagegen, die sich trotz dauernden Streits nicht trennen, führt das beim Kind zu einer Resignation, dass man Krisen nicht bewältigen kann. Die Kinder aus hoch-zerstrittenen Verhältnissen haben später am meisten mit Bindungsangst und Bindungsproblemen zu tun.

Was ich mich noch frage: Welche Rolle spielt mein Körper bei all dem? Die Übungen, die du anbietest, sind ja oft eher etwas für meinen Kopf. Kann mein Körper mir auch irgendwie Rückmeldung geben?
Unsere Gefühle werden ja immer körperlich vermittelt. Ich spüre auf einer körperlichen Ebene wie ich mich gerade fühle. Ob ich ein bisschen traurig bin, ob ich unter Druck bin – das vermittelt sich sofort in Körperempfindungen wie etwa einem Kribbeln in der Brust oder ähnlichem – und es vermittelt sich natürlich auch in der Körperhaltung.

Man hat festgestellt, dass sich Gefühle und Gedanken automatisch körperlich manifestieren, also einen Einfluss haben auf mein körperliches Befinden. Aber man kann das Verhältnis auch umdrehen: Meine Haltung zum Beispiel hat auch einen Einfluss auf meine Psyche. Das heißt, wenn ich bewusst meinen Körper wahrnehme mit meinen inneren Befindlichkeiten und meiner Haltung, dann kann ich dadurch auch meine Psyche bewusster korrigieren.

Ich kann mir zum Beispiel sagen: So, jetzt atme ich mal ein bisschen tiefer ein und aus, strecke mich mal, setze mich gerade hin oder lächle einfach mal. Das körperliche und psychische Befinden, das ist sehr, sehr eng miteinander verflochten.

Außerdem ist Bewegung allgemein ein wahnsinnig gutes Antidepressivum. Es ist ein ganz tolles Mittel, um sich in eine bessere Stimmung zu bringen oder einfach, um Stress abzubauen.

Jana Heck und Stefanie Stahl
Jana und Stefanie Stahl; Foto: Susanne Wysocki

Hast du Tipps, wie ich mich auf einfache Art dazu motivieren kann?
Der für mich beste Tipp ist, eine gewisse Regelmäßigkeit zu praktizieren. Alles, was wir regelmäßig tun, fällt uns wirklich viel leichter. Am besten sollte ich zu festen Zeiten des Tages ein paar Minuten Bewegung praktizieren. Zum Beispiel nach dem Aufstehen, wenn ich von der Arbeit komme oder in der Mittagspause.

Wenn ich das wirklich regelmäßig mache, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich dabei bleibe viel höher, als wenn ich mich nur sporadische bewege. Meistens kommt die Lust dann automatisch beim Tun. Genial ist natürlich, wenn ich irgendetwas finde, was mir Spaß macht, dann ist es noch leichter.

Ich bin da ein schlechtes Beispiel für: Ich mach‘ immer so Sachen, die überhaupt keinen Spaß machen. Weißt du, ich mach so ganz grausame Kraftübungen. Die sind furchtbar anstrengend, aber halt maximal effektiv. (lacht)

Mir wurde aber gesagt du magst Wandern?
Ja, Wandern mach ich gern. Unsere Wandersaison beginnt meistens im Frühjahr. Am Anfang muss ich mich schon immer wieder ein bisschen aufraffen, aber wenn ich da so drin bin im Wanderfieber, dann ist es ganz toll. Im Herbst bin ich dann sozusagen auf dem Höhepunkt der Wanderei. Und dann nehme ich mir immer vor: Ach, diesmal wanderst du auch im Winter. Aber ich schaffe es einfach nicht.

Würdest du dich auch als naturverbundenen Menschen bezeichnen?
Ja, durch die Wanderei auf jeden Fall.

„Die Natur alleine macht jetzt noch nicht die Arbeit. Aber sie ist eine ganz große Kraftquelle und kann Menschen wirklich sehr, sehr viel geben.“

Stefanie Stahl

Was gibt dir das?
Ich kann das schwer in Worte fassen. Es gibt mir so eine Lebensfreude. Ich bin einfach furchtbar gern im Wald. Wenn ich dort gehe, dann habe ich so ein schönes freies Gefühl.

Wir kriegen oft von Eltern gesagt, dass sie große Unsicherheiten haben, wenn sie mit ihren Kindern im Wald sind. Weil sie nicht wissen, was sie ihnen bieten können oder auch Angst haben etwas nicht zu wissen oder sich zu verlaufen.
Was würdest du diesen Eltern mitgeben?
Ich würde erst gar nicht auf die Idee kommen, das als Schwäche zu deuten. Dann hat man sich halt Verlaufen. So ist das Leben. Das muss man dann einfach gemeinsam lösen. Wenn es um Wissen geht, muss man halt dazu stehen, dass man nicht so viel Ahnung hat.

Man kann sich auch eine App zuzulegen und findet dann mit den Kindern gemeinsam die Namen von Pflanzen und Tieren – so lernen alle was dazu. Aber klar: Für manche Kinder ist es halt langweilig, spazieren gehen. Und dann quengeln sie und haben überhaupt keinen Bock. – Da hast du doch bestimmt mehr Tipps als ich, was man da machen kann.

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Also erst einmal das Wort „Spazierengehen“ streichen, das klingt nämlich immer total langweilig.
Wie sagt man denn besser?

Zum Beispiel: Wir gehen Ausbüxen. (lacht)
(lacht) Ja, das ist besser. Die Frage kannst du besser selbst beantworten als ich.

Gibt’s deiner Meinung nach einen Zusammenhang zwischen dem „Ich fühle mich der Natur verbunden“ und „Ich fühl mich mir selbst und anderen Menschen verbunden“?
Die Natur ist eine unheimlich gute Umgebung, um Stress abzubauen. Sie wirkt auf uns Menschen beruhigend und positiv. Und wenn man wandern geht hat man natürlich auch die Zeit über einiges nachzudenken, und dadurch zu einem Ausgleich zu kommen.

Mir tun Spaziergänge immer besonders gut in Zeiten, in denen ich viel unterwegs bin, Vorträge halte, Seminare leite und Interviews gebe – wenn ich einfach im öffentlichen Leben stehe und präsentieren muss. Danach finde ich es immer so geil, hier her zurückzukommen und in den Wald zu gehen. Da draußen trifft man ja keinen. Da kannst du total bequem rumlaufen und es ist egal, wie du aussiehst. Wenn ich da so vor mich hin wandere, dann ist das für mich ein totales Runterkommen in der Natur.

Aber die Natur ersetzt ja nicht eine wirkliche Selbstreflexion. Es gibt Menschen, die sind total naturverbunden, und trotzdem sehr Beziehungsgestört. Es gibt andere die sind nicht so große Naturmenschen, aber total selbstreflektiert und für sich sehr gut sortiert. Also, die Natur alleine macht jetzt noch nicht die Arbeit. Aber sie ist eine ganz große Kraftquelle und kann Menschen wirklich sehr, sehr viel geben.

Danke für das wertvolle Gespräch, Steffi!

"Nestwärme, die Flügel verleiht" Buchcover

Stefanie Stahl ist Psychologin und Bestsellerautorin. Gemeinsam mit Julia Tomuschat schreibt sie in ihrem Buch Nestwärme, die Flügel verleiht wie wir unseren Kindern Halt geben und gleichzeitig Freiheit schenken.

Ihr findet Stefanie auch hier auf Instagram und Facebook.

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